Von Räumen und Tänzern
Zeichnerische Sprache, die Bewegung schafft und Raum erzeugt

In den jeweils jüngsten Arbeiten Irène Wydlers sind frühere Themen immer auch noch
spürbar. Einmal sieht man sich erinnert an die Industriezeichnungen der 80er- und
90er-Jahre: an die Industriebauten, Werkhallen und -räume. Dann wieder sind es die,
im zuversichtlich suchenden Bleistift- oder Kreidestrich realisierten, raumprägenden und
bildtragenden Strukturen: Strukturen, gewonnen aus historischen Gewölbebauten,
tunnelförmigen Passagen, gewonnen aus Brücken oder Treppen und Türmen, gewonnen
aber genauso aus erinnerten Landschaften oder aus bildnerisch-abstrakten Gegebenheiten,
z.B. dem Motiv von Faltungen.

Die zeichnerische Linie verbindet; sie vermittelt eine Ahnung von Raum, gerade indem
sie ihn entwirft, indem sie ihn hoch und breit aufreisst. Hier setzt auch das Drehen
der Wydlerschen Tänzer an, das sich den Bildraum erobert, ihn höhlt und in diesem
sowohl ausgreifenden wie schwingend-umarmenden Gestus zugleich Körpergebilde und
Gefäss, zugleich transparente, architektural sich gebärdende Hülle und zauberischen
Innenraum schafft. Es entstehen, unter beinah hörbar sirrender Bewegung, Formgebilde
aus dynamisch sich findenden und bündelnden Strichen; und man gewinnt den Eindruck,
diese ebenso durchscheinenden wie kraftvollen Wirbeluniversen entstünden immer neu,
im Moment des Betrachtens, und sie behielten ihre gegenwärtige Gestalt nur einen
flüchtigen Augenblick lang, und die Linienspuren nähmen in fliessendem Übergang
gleich wieder eine andere Ordnung ein.

Irène Wydlers Zeichnen – selbst ein Tanz von tausend Kritzeln und Schraffen – entwirft uns
immer wieder neue Bilder für eine zentrale Grundbefindlichkeit: das stetige Bewegtsein.

Bernard Fassbind 2009

Ausstellung Galerie Graf und Schelble, Basel, 2009